1) Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke. Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1967, Bd. 15, S. 341. 2) Artaud, Antonin: Das Theater und sein Double. Frankfurt a. M. (Fischer) 1989, S. 119. 3) Sontag, Susan: Against Interpretation. New York (Farrar, Straus & Giroux) 1966, S. 173.
Brecht und Artaud -Versuch eines Vergleichs- YUUICHI ISHIDA Brechts episches Theater und Artauds Theater der Grausamkeit stellen in vielen Punkten einen deutlichen Gegensatz dar. Aber wenn man sie auf ihre Einstellung zur Sprache hin vergleichend untersucht, kann man zwi schenbeiden eine grundlegende Gemeinsamkeit finden, wegen der in den 60er Jahren Peter Weiss' und Peter Brooks Versuche zur Synthese von Brecht und Artaud in ihren jeweiligen Auffuhrungen von gmarat/sade h Erfolge erzielen konnten. Brecht interessierte sich fur die dann spater von dem englischen Philoso pherjohn L. Austin als gperformative h bezeichnete Ebene der Sprache, auf der man mit der sprachlichen AuBerung nicht nur die-wirkliche oder fiktive-realitat beschreibt, sondern irgendeine Handlung hervorruft. Man beschreibt z.b. mit der performativen AuBerung gich verspreche, dab... h keine Realitat, sondern man fuhrt damit den Akt des Versprechens aus. Aber mit derselben AuBerung fihrt der Schauspieler auf der Buhne 28) Sontag: a.a.o., S. 188.
nicht den Akt des Versprechens aus, sondern den des Spielens, denn auf der Buhne ist das Subjekt dieses performativen Satzes (= g ich h) mit dem Subjekt des Sprechaktes (=dem Schauspieler) nicht identisch: Wenn der Schauspieler auf der Buhne den Satz gich verspreche... h sagt, ist mit dem Wort gich h nicht der Schauspieler gemeint, sondern die dramatische Figur, die er spielt. Diese Dissoziation des Subjekts des Sprechaktes von dem des Satzes versucht Brecht in seinem Theater sichtbar zu machen, wenn er z.b. in seinen theoretischen Schriften den Schauspielern rat, statt der Form der ersten Person und der Gegenwart in der Form der dritten Person u nd der Vergangenheit zu sprechen. Auf der anderen Seite war sich Artaud dieser Dissoziation, die Brecht im Sprechakt des Schauspielers auf der Buhne feststellte, auf psychopatholo gischeweise immer und durchaus bewubt: Artaud litt lebenslang-wahrscheinlich wegen der Drogensucht-an einem schizophrenen BewuBtsein, dab die Sprache, die er spricht, ihm nicht gehore. Er schreibt z.b. in gdie Nervenwaage h, dab er bisher mit seinen Bemuhungen gescheitert sei, weil ein Teil seines Denkens gbereits vorformuliert h sei: gvom Augenblick an, wo ich spreche, gehoren die Worter, die ich gebrauche, mir nicht mehr, veil sie Worter sind; sie werden in ursprunglicher Weise wiederholt h. Er konne die Worter nur so sprechen, als ob der Schauspieler auf der Buhne ihm nicht gehorende Rollentexte sprache. Deshalb versucht Artaud in seinem Theater die normale, schriftlich vorformulierbare Sprache zu ver nichtenund statt ihrer eine neue Sprache zu verwirklichen, die man nicht wiederholen kann. Nur diese Unwiederholbarkeit-so glaubt Artaudschaffe jene Dissoziation, die der normalen Sprache zugrunde liegt, ab und ermogliche eine vollstandige Identitat zwischen dem Subjekt des Satzes und dem des Sprechaktes. Also kann man feststellen, dab es sowohl in Brechts epischem Theater als auch in Artauds Theater der Grausamkeit um die Dissoziation des Sub jektsdes Sprechaktes (dem sprechenden Korper) von dem des perform ativensatzes ( gich h) geht. Der Unterschied liegt nur darin, dab diese Dis soziationbei Brecht in bezug auf den theatralischen Sprechakt problema tisiertwird, wahrend sie bei Artaud durch die Geisteskrankheit ins Be wubtseingebracht wird. Aber man kann auch sagen, dab sowohl das Theater als auch die Geisteskrankheit als Ansatz zur Erkenntnis der Grund strukturder Sprache funktionieren konnen. In Weiss' Stuck gmarat/sade h finden diese zwei Ansatze-Theater u nd Geisteskrankheit-zugleich Verwendung: Die meisten dramatis per sonaedieses StUckes, Anstaltsinsassen, spielen einerseits als Schauspieler Rollenfiguren des gstuckes im Stuck h, aber andererseits tendieren sie im merwieder wegen ihres eirrseins f dazu, sich von ihrer jeweiligen Rollenfigur zu dissozieren. Durch dieses Motiv erhellt uns dieses Stuck, mit dem Weiss
absichtlich Brecht und Artaud zu synthetisieren versucht, eine Problematik, die sowohl dem epischen Theater als auch dem Theater der Grausamkeit zugrunde liegt.